Tiers am Rosengarten
Das Tor zu den Dolomiten
Tiers spielte eine bedeutende Rolle in der alpinistischen Erschließung der Südtiroler Berge – es war das Tor zu den Dolomiten. Die alte Straße nach Tiers wurde bereits 1811 erbaut. Der Alpinismus in den Dolomiten begann Ende des 19. Jahrhunderts. Damals gab es zwar schon die Eggentalstraße seit 1860 und die Karerpassstraße seit 1896, aber an höheren Übergängen gab es nur Schotterstraßen und Saumpfade. Initiator des Baus der Dolomitenstraße war Dr. Theodor Christomannos, womit die touristische Erschließung der Dolomitentäler begann.
In dieser Zeit wurden mit der Grasleiten Hütte, der Vajolet Hütte und der Kölner Hütte auch die ersten Schutzhütten erbaut, die sich schon bald als zu klein erwiesen und noch vor dem Ersten Weltkrieg auf die heutige Größe ausgebaut wurden. Die erste Schutzhütte, die im Rosengartengebiet 1887 auf Anregung von Johann Santner von der Sektion Leipzig des Deutschen Alpenvereins gebaut wurde, war die Grasleitenhütte. Von dort aus konnte man den höchsten Gipfel des Rosengartenmassivs, den 3.004 Meter hohen Kesselkogel, in zwei Stunden erreichen. 1888/1889 gründete Johann Santner gemeinsam mit einigen Bergsteigern aus Bozen und dem Ausland die Gesellschaft „Die Tschamintaler“. Einige erfahrene Tierser Kletterer rund um die beiden Brüder Johann und Alois Villgrattner nutzten um die Jahrhundertwende die Gunst der Stunde und gründeten eine Bergführervereinigung. Alois Villgrattner war es, der zusammen mit Johann Santner am 19. Juni 1878 den später nach ihm benannten Santnerpass eröffnete und somit den Rosengarten von der Tierser Seite aus zugänglich machte.
Kletterparadies Rosengarten
Da es vor allem Wohlhabende aus der Bürgerschicht der Städte waren, die es damals in die Berge zog, verdienten sich die Bergführer und Träger eine goldene Nase. So kostete zum Beispiel eine Tour von Tiers auf die Rosengartenspitze 14 bis 16 Gulden - zum Vergleich, ein Handwerker verdiente damals am Tag knapp einen halben Gulden. Doch vom Bergführen alleine leben konnten nur die Besten wie zum Beispiel Franz Schroffenegger und Franz Wenter. Letzter war auch Mitglied der 1914 gegründeten alpinen Gesellschaft Bergler wie auch der legendäre Otto Eisenstecken, dessen Namen auf keinen Fall fehlen darf, wenn man sich über das Klettern in den Dolomiten unterhält. Schroffenegger und Wenter kletterten vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche schwere Touren im Rosengartengebiet: Erstbegehungen an der Nordwestwand des Delagoturms, der Nordwestwand und der Ostflanke der Sattelspitze, der Ostwand der Rotwand und die schwierige Nordroute der Laurinswand gehen auf ihr Konto. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Otto Eisenstecken, der mit seinen Erstbegehungen Ende der vierziger Jahre an Rotwand, Laurins-Westwand, Vajolet-Hauptturm und vielen Wänden mehr eine neue Epoche des Bergsteigens einläutete.
Beide Klettergilden sind eng mit dem Rosengartengebiet verbunden und führen eine rege Vereinstätigkeit, die sie heute weit über den Rosengarten und die Südtiroler Landesgrenzen hinausführt. Für die Bergler aus Bozen lag der Rosengarten praktisch vor der Tür und für die Tschamintaler ist er der Hausberg, da sich die Klettergilde heute fast ausschließlich aus Tiersern zusammensetzt. Die „Bergler“ fuhren früher mit dem Zug nach Blumau, und dann mit den Fahrrädern nach Tiers, wo sie in Heulagern übernachteten, um dann früh morgens ihre Touren in Angriff zu nehmen. Erzählungen zu Folge sollen sie einmal von einem Bauer ziemlich unsanft vertrieben worden sein, sodass sie beim Abstieg durch die Wenterkamine beschlossen, am Fuße der Laurinswand eine Hütte zu erbauen. Der Bau der „Bergler Hütte“ dauerte von 1921 bis 1923 und sie wurde während des Faschismus, als die deutsche Kultur in Südtirol verboten war, zum geheimen Vereinssitz. Dort entging man den Schikanen des Faschismus, es wurden deutsche Lieder gesungen und man blieb während des gesamten bis 1943 andauernden Vereinsverbots unentdeckt.
Tschamintaler
Mit seiner hohen Dichte an Kletterrouten hat sich Tiers am Rosengarten als absolutes Kletterparadies einen Namen gemacht. Einst kamen internationale Bergsteiger mit dem Zug nach Blumau, um von dort zu Fuß bis an die Felswände des Rosengartens zum Klettern zu gelangen. Der Rosengarten gilt seit eh und je als Mekka für Kletterer. Nirgendwo anders in Südtirol findet sich ein so dichtes Netz an Routen wie in Tiers. Das Dorf blickt auf eine lange Klettertradition zurück und hat mit den Tschamintalern eine traditionsreiche Klettergilde. Ihren Namen hat die Tierser Klettergilde vom gleichnamigen, wunderschönen Hochtal an der Südseite des Naturparks Rosengarten Schlern. Die traditionsreiche Klettergilde besteht aus erfahrenen Alpinisten und umfasst aktuell 23 Mitglieder. Um als Mitglied aufgenommen zu werden, muss man das 18. Lebensjahr vollendet haben und folgende Nachweise erbringen: 20 Alpintouren mindestens im 6. Grad, fünf davon in Tiers; fünf Sportklettertouren mindestens im Grad 7 in Tiers; fünf Eisklettertouren WI4 und zehn Skitouren mit mindestens 1.200 Höhenmetern. Zweck der Klettergilde ist die Förderung des Bergsteigens, insbesondere des Leistungsbergsteigens im Rahmen des Alpenvereins und dessen Satzungen. Zahlreiche Erstbegehungen im Rosengartenmassiv und Tschamintal gehen auf das Konto von Mitgliedern dieser Klettergilde. Aktuell gibt es innerhalb der Reihen dieser traditionsreichen Klettergilde eine Gruppe junger Mitglieder, die mit großer Leidenschaft immer wieder neue Erstbegehungen im 7. bis 9. Grad machen. Seit 2023 gibt es in der langjährigen Geschichte der Klettergilde mit Hanna Raffeiner erstmals auch eine Frau in den Reihen der Tschmintaler und seit 2018 mit Egon Resch seit langem wieder einen Tierser Bergführer.
Das Klettern wird den Tiersern praktisch in die Wiege gelegt. Die Leidenschaft für Berg und Fels wird von Generation zu Generation weitergegeben. Großen Anteil an der Begeisterung für Natur und Sport hat auch der Alpenverein; die Sektion Tiers wurde 1965 gegründet und bringt mit ihrer regen Vereinstätigkeit vielen jungen Tiersern die Begeisterung für die Berge nahe.
Tiers - Geschichte und Gegenwart
Mit der Erstbesteigung der Rosengartenspitze 1874 durch zwei Engländer wurde Tiers zum Stützpunkt der besten Bergsteiger der Welt. Schon bald wurden die Dolomiten den Gästen zugänglich gemacht: Wanderwege und Gastbetriebe wurden ausgebaut und der Tourismus wurde zum einem der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine des Dorfes. Im Dolomitenhotel Weißlahnbad und dem Rosenwirt logierte damals die noble Klientel aus ganz Europa und sogar aus Amerika. Damals wie heute hat das Bergsteigerdorf einen großen Reiz für Sportbegeisterte und Naturliebhaber, für die dank ausgezeichneter Beherbergungsbetriebe auch das leibliche Wohl nicht zu kurz kommt.
In Tiers finden jedes Jahr eine Reihe an Veranstaltungen unter dem Synomym „die Bergler“ statt. Der Fokus ist vor allem der kulinarische Aspekt, in Verbindung mit der faszinierenden Bergwelt des Rosengartens. Es geht darum, alte Rezepte und Produkte neu zu interpretieren und so unvergessliche kulinarische Momente inmitten des Weltnaturerbes zu schaffen. So sitzt man beispielsweise im Juli an der legendären Bergler Tafel auf der Proa, eine Almwiese oberhalb von Weisslahnbad. Mit bis zu 200 Personen bestaunt man die wunderbare Aussicht bei einem 5-Gang-Open Air Menü zu auserwählten Weinen. Oder man sitzt im Juni bei der Bergler Harass unterhalb der Tschafonwände direkt am Wuhnleger auf einer Pick-Nick-Decke mit Blick zum Rosengarten und Latemar und verkostet einheimische Produkte wie Speck, Käse, Butter, Kaminwurzen, Wein, Apfelsaft und Bauernkrapfen - alles aus der Region.
Noch heute ist die Faszination des Rosengartengebiets so groß, dass viele Menschen aus aller Welt nach Tiers kommen: zum Wandern, zum Bergsteigen oder zum Klettern. Tiers am Rosengarten ist also das Tor zu den Dolomiten und der Ausgangspunkt für unzählige Berg- und Klettertouren.